Gesprächsnarzissmus

Sind Sie interessiert oder interessant? 

Ist das Gespräch über mich oder langweilig? 

Präambel

Pathologischer Narzissmus ist eine Persönlichkeitsstörung und im Klassifikationssystem psychischer Krankheiten (DSM – Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) angeführt. Jedoch wird die Zuschreibung Narzisst in unserer Zeit viel zu leichtfertig “diagnostiziert”. Ich spreche demnach bewusst von Gesprächsnarzissmus (GN), welcher keinerlei Rückschluss auf pathologischen Narzissmus dieser Person darstellt. Bei GN kann es sich einfach nur um eine bislang unbeobachtete Unachtsamkeit, schlechte Kommunikationsfähigkeiten oder eine in der individuellen Beziehung auftretende Verhaltensweise handeln. 

Wovon lebt ein gutes Gespräch? 

Ein fruchtbares Gespräch lebt durch Ausgewogenheit zwischen folgenden Faktoren: 

Gegenseitiges Interesse an der Person und den von den Personen besprochene Themen und eine für beide Seiten angenehme Verteilung der Sprech- und Zuhörzeit. 

Menschen, die zu Gesprächsnarzissmus neigen, zeigen folgende Verhaltensweisen

  1. Der Gesprächsnarzisst (GN)  spricht hauptsächlich über sich oder über seine Themen. Dabei zeigt er kein Interesse an der anderen Person, deren Themen oder Emotionen. Der GN nimmt also den gesamten Raum der Konversation ein und dominiert die Gesprächszeit.
  1. In Gesprächen, wo es um alternative Lösungen geht, zeigt der GN keine Bereitschaft, andere Lösungen als seine eigene zu akzeptieren. Dies ist vor allem in Diskussionen, Konflikten oder Streitgesprächen mühselig und anstrengend.
  1. Der GN unterbricht oftmals und ohne Reue. Dies dient entweder dazu, das Thema wieder auf sich zu beziehen, zu urteilen oder abzuwerten, was sein Gegenüber gesagt hat.
  1. GN können kaum Empathie für den Gesprächspartner entwickeln. Sie können auf emotionaler Ebene keine Verbindung herstellen. Es fällt Ihnen schwer einen Raum für die Emotionen anderer in sich zu öffnen, man meint, dass dieser mit eigenen Gedanken und Gefühlen schon zu sehr vollgeräumt ist. 
  1. Geben ungefragt Ratschläge! GN sind Meister des „Besserwissers“ und teilen diese Ratschläge ungefragt mit. Zum Teil lässt sich auch Ärger und Unverständnis beobachten, wenn dieser Ratschlag reflektiert wird und nicht sofort in die Tat umgesetzt wird. Erfreut wird ein GN, wenn man den Ratschlag nicht nur annimmt, sondern den Tippgeber mit großen Worten würdigt. 
  1. GN antworten oft mit: „Das habe ich eh gewusst“, „das hab ich schon gehört“, „das war mir klar“ auf Erläuterungen oder Erzählungen. GN können sich Unwissenheit in vielen Bereichen nicht eingestehen, da dies den fragilen Selbstwert angreift.
  1. Menschen mit GN und stark narzisstischer Persönlichkeit manipulieren ganz bewusst den Gesprächspartner. Sie wollen keine Beziehung mit dieser Person, sie wollen diese für sich nützen. Dabei setzen sie ganz bewusst die Taktik ein, die für sie zu mehr Erfolg führt – dabei reicht das Spektrum von Schmeicheln bis Drohen, je nachdem wo sie mehr persönlichen Nutzen erfahren. 
  1. GN merken kaum, wenn der Zuhörer die Aufmerksamkeit verliert. Sie sind so von den eigenen Aussagen eingenommen, dass sie kaum merken, wenn die ZuhörerInnen nicht mehr bei der Sache sind. 

Beispiele für Gesprächsnarzissmus (Reaktion 1) und Beispiele für Reaktionen, die echtes Zuhören fokussiert (Reaktion 2-4) 

Aussage:

“Ich habe so schlecht geschlafen und bin noch immer total müde. Ich hoffe, ich schaffe es den Tag wach zu bleiben. “

Reaktion 1: 

“Also ich habe herrlich geschlafen! Mein Bett ist auch wirklich traumhaft. Du solltest dir auch den Polster kaufen, den ich da neulich gekauft habe. Seither schlafe ich soviel besser. Schlaf ist überhaupt das Wichtigste für mich.” 

Reaktion 1 zeigt von wenig Empathie (kein Eingehen auf die emotionalen Anteile der Aussage), GN durch die sofortige Umkehr zur eigenen Erfahrung oder Geschichte, Ratschlag (kauf dir auch den Polster) ohne auch nur irgendeine Idee für den Hintergrund des schlechten Schlafs zu kennen. Diese Reaktion schafft Distanz statt 

Reaktion 2: “Was hält dich aktuell davon ab gut zu schlafen?” 

Reaktion 3: “Du bist in Sorge den Aufgaben des Tages nicht gewachsen zu sein”

Reaktion 4:Erzähl mir gerne, was dich beschäftigt” 

Die Reaktionen 2-4 unterscheiden sich eindeutig dadurch, dass sie auf den Sprechenden eingehen und die Möglichkeit zur Vertiefung und Reflexion bieten. 

Wie schaffe ich es, wertfrei zuzuhören?

Der indische Philosoph, Jidda Krishnamurti meinte, dass “Beobachten, ohne zu bewerten ist die höchste Form menschlicher Intelligenz” 

Generell brauchen wir Wertungen zum Leben oder Überleben! Würden wir nicht werten, könnten wir nicht schnell zwischen gefährlichen und sicheren Situationen unterscheiden und würden uns wohl nicht bis zu diesem Punkt der Evolution weiterentwickelt haben. Doch schwierig wird es, wenn wir in jeder Begegnung oder Konversation, unseren Wertungsmechanismus freien Lauf lassen, den dann können wir, nicht mehr zuhören. Sowie wir werten, also das Gehörte sofort in Kategorien wie richtig, falsch oder gut/schlecht usw. einordnen, oder die Erzählerin als dumm/klug, umständlich/zum Punkt kommend, ganz egal in welche Richtung – sowie wir werten, wird es immer mein Zuhören beeinträchtigen. 

Bitte diese nun folgende Idee nicht als wissenschaftlich fundiert oder durch Neurowissenschaftler überprüft betrachten, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir im Wertungsmodus unser “altes Gehirn” aktiv haben, welches schnelle, auf das Überleben programmierte Entscheidungen treffen muss. Die quasi Aufgabe dieser Gehirnregion ist wohl weniger die umfassende und tiefgreifende Beschäftigung mit dem Inhalt, dies wäre  eher die Aufgabe des neuen und weiter entwickelte Teil unseres Gehirns. Und da trifft sich vielleicht das Zitat von Krishnamurti, dass die Beobachtung gegenüber der Bewertung als höchste oder zumindest höhere Form der Intelligenz betrachtet werden kann. 

Der erste Schritt kann also sein, Wertungen also etwas Normales, aber nicht in jeder Situation angebrachtes zu verstehen, da wir vieles was wir täglich erleben auch nicht unmittelbar bewerten müssen. 

Nun zum zweiten Schritt:. 

Was uns Menschen generell auszeichnet ist, sich Gedanken über unsere Gedanken zu machen und eine Wertung ist nichts anderes als ein Gedanke. Demnach ist der zweite Schritt, auf unsere täglichen Wertungen gezielt zu achten. Wie sehe ich die andere Person, die mir etwas erzählt? Rolle ich innerlich die Augen, wenn aus meiner Sicht eine Kleinigkeit Anlass für Verzweiflung auf der anderen Seite sind, denke ich mir nach den ersten Sätzen, “was für ein Blödsinn ist das schon wieder” – was wird passieren? Ich werde nicht alle Informationen aufnehmen, ich werde vor allem nicht die emotionalen Botschaften lesen, die sich hinter den sachlichen Inhalten verstecken. Mir wird aufgrund der Wertung viel entgehen, weil die Wertung Ausdruck meiner Gedanken ist und meine Gedanken nicht mehr fokussiert auf Thema und Person im Gespräch sind, sondern durch die Wertung vernebelt und verfälscht. Jeden Tag passieren in Gesprächen Missverständnisse, Unklarheiten und Konflikte, weil wir die Worte durch den Filter unserer Wertungen hören und nur mehr die Inhalte hören, die unsere Wertung bestätigen. Otto Scharmer, Professor am MIT, beschreibt in seiner Theorie U, 4 Arten des Zuhörens. Die erste Form nennt der downloaden, dieses Zuhören dient nur der Bestätigung der eigenen Theorien und Urteilen. Hören wir nur das, was unsere Wertung bestätigt, so sind wir nur zu einem kleinen Teil zu einer gemeinsamen und kooperativen Lösung bereit. Es gilt also die eigenen Wertungen zu beobachten und diese, Schritt für Schritt wegzulassen. Uns einfach auf das einlassen, was vom Gegenüber kommt, vom Anfang bis zum Ende. Für mich persönlich bedeutet wertfreies zuhören vor allem eine große persönliche Freiheit und Autonomie, da ich mich durch vorher gefasste Urteile nicht in meinen Entscheidungen beeinflussen lassen. Das Diktat der Wertung ist brutal, es kann aber unsere Entscheidung sein, dies zu unterlassen. 

Die dritte Stufe ist also der schrittweise Ersatz von Wertungen durch Beobachtungen. Ich nehme auf, was ich höre und sehe, beobachte, lasse auf mich wirken, gebe dem Raum und Platz. Es reicht oft die Situation oder die Aussage wie von außen zu betrachten, aus Position einer BeobachterIn. Wir können uns hineinversetzten und dabei die Szene wie einen Film ablaufen lassen, den wir betrachten, müssen aber nicht sofort eine Rolle übernehmen. 

Ich werde dann erleben, dass sich in mir neue Türen öffnen, neues Verständnis für die Welt anderer entwickelt, neue Ideen und kreativere Ansätze aufkommen, es werden Brücken gebaut und Gräben zugeschüttet werden, 

Ich fasse kurz die 3 Schritte zusammen: 

1 Bewusstsein, dass Wertungen lebensnotwendig sind, jedoch in Situationen, die schnelle Reaktionen erfordern, kaum aber, wenn ich in einem Gespräch anderen problemerfassend zuhören muss.

Schritt 2: Klarheit erlangen, dass eine Wertung rein ein Gedanke ist, für welchen ich mich entscheide und den ich durch andere Gedanke und Haltungen ersetzen kann

Schritt 3; Schritt für Schritt bestehende Wertungen durch Beobachtungen ersetzten und somit die Kraft der Wertfreiheit als echte Freiheit erleben. Die Szene von außen beobachten, mehrere Blickwinkel einnehmen.

Antoine de Saint -Exupery hat geschrieben, um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.  

Selektives Zuhören – Legende von König Krösus

Uns allen ist der legendäre König Krösus bekannt. Krösus war König des Vorderasiatischen Königreiche Lydien und lebte ca. 590 v Christus. Lydien lag in der heutigen Türkei, gegenüber der Küsten von Lesbos und Samos. Krösus war für seinen Reichtum bekannt, galt als vermögendster Mann seiner Zeit. Eines Tages befragte er das delphische Orakel des Apollon, ob er das sich stärker ausbreitende Perserreich des Königs Kyros angreifen solle. Diese Befragung ging sogar eine intensive Untersuchung, der in dieser Zeit bedeuteten Orakeln hervor. Das Orakel von Delphi prophezeite „wenn Du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören“. Von dieser Prophezeiung ermutigt, schritt Krösus in den Kampf – und verlor! Krösus entging knapp den Scheiterhaufen und sein Reich zerbrach. Das Orakel hatte allerding recht, den es ging um das Reich des Krösus, welches durch den Angriff zerstört wurde. Wir können dies als eines der ältesten überlieferten Beispiele für Missverständnisse durch schlechtes, weil selektives Zuhören einordnen.

Wir hören nur, was wir hören wollen. Wir hören den Inhalt, der unseren Wunsch bestätigt. In der Kognitionspsychologie nennt man dies auch den Bestätigungsfehler.

Hätte Krösus innegehalten und den Spruch des Orakels in einer Haltung von Wertfreiheit und Akzeptanz aufgenommen, so wäre ihm vielleicht die Idee gekommen, dass dieser keine positive Voraussicht, sondern eine Warnung darstellt. Überspitzt formuliert verlor Krösus alles, weil er nicht gut zuhörte,. Das selektive Hören ist jedoch nicht nur reichen Herrschern der Antike vorbehalten Es ist eine weiterhin zutiefst menschliche Eigenschaft, die uns Tag für Tag in große Schwierigkeiten stürzt.

Haltung (Teil 2)

Carl Rogers, der Entwickler der personenzentrierten Psychotherapie hat die Haltung der TherapeuthIn wie folgt definiert:

Die 5 Imperative von Rogers

Annahme des Klienten und nicht Initiative 

Zentrierung auf sein Erleben und nicht äußere Tatsachen

Zentrierung auf die Person des Klienten und nicht auf sein Problem 

Respektierung seiner Persönlichkeit und echte Wertschätzung anstelle einer Demonstration unseres Scharfsinns oder unserer Überlegenheit 

Suche nach besserer Verständigung und nicht nach Deutung

Eine Annäherung zur Definition

Wie kann ich zuhören nach HATECO in eine Definition bringen. Diese Beschreibung verwende ich in meinen Seminaren und wird ständig nach den Erkenntnissen und Ideen der TeilnehmerInnen dazu, weiterentwickelt:

GesprächspartnerInnen zu begleiten, tiefer in das Thema einzusteigen, ohne direktiv einzugreifen. Dabei stellt die ZuhörerIn eigene Ideen und Wertungen beiseite und fördert durch spezifische Techniken aktiv den Rede- und Gedankenfluss der ErzählerIn.

Ziel ist es, in die Welt anderer einzutreten und damit Motive und Sichtweisen umfassend zu verstehen. Zuhören ist ein Motor für Dialoge, der dafür sorgt umfassendes Verständnis für andere Menschen, deren Situation, Bedürfnisse und Probleme zu entwickeln.

Beziehungen und beiderseitiges Vertrauen werden vertieft, neue Sichtweisen und Ideen entstehen, eine positive und wertschätzende Atmosphäre wird geschaffen. 

Haltung (Teil 1)

Meine innere Haltung ist das zentrale Element echten Zuhörens. Demnach wird in diesem Blog immer wieder auf die Haltung Bezug genommen, Ideen und Impulse unterschiedlicher AutorInnen und ZuhörerInnen werden behandelt.

Diese Impulse entspringen meinen Ideen, sind ausschließlich inspiriert von großen Vorbildern wie zB Carl Rogers.

Merksätze zur inneren Zuhörhaltung: 

Ich höre zu, ohne zu werten oder zu urteilen

Ich höre zu und fühle mich in mein Gegenüber ein

Ich höre zu und habe echtes Interesse an meinem Gegenüber und den Inhalten

Ich höre zu und nehme mein Gegenüber vollständig wahr

Ich höre zu, auch wenn ich mit den Aussagen meines Gegenübers nicht einverstanden bin 

Ich höre zu, und bin dabei im hier und jetzt

Ich höre zu und nehme mich und meine Interpretationen und Gedanken zurück und stelle mein Gegenüber in den Mittelpunkt